Donnerstag, 25. April 2024

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Mammografie: Strahlenbelastung gegen Früherkennung abwägen

 

Krebs durch Röntgen: Eine kritische Beurteilung

Kürzlich kam eine sorgfältige wissenschaftliche Studie aus Oxford zu dem Ergebnis, dass in Großbritannien etwa 0.5% der Krebsmortalität durch Röntgendiagnostik hervorgerufen werde, in Deutschland dagegen 1.5%, wegen der häufigeren Röntgendiagnostik. Dazu gibt Prof. Dr. A. M. Kellerer, GSF-Institut für Strahlenbiologie und LMU München, zu bedenken:

Es ist ein wichtiges Anliegen, die medizinische Strahlenexposition zu reduzieren, ohne dabei die nötige diagnostische Information aufzugeben. Viele Röntgenuntersuchungen verlangen heute weit geringere Strahlendosen als früher. Andererseits haben sich ganz neue Anwendungsmöglichkeiten, z.B. durch Computertomographie, durchgesetzt. Insgesamt hat sich deshalb die mittlere Exposition der Bevölkerung durch Röntgendiagnostik nicht verringert. Dosisreduktion in der radiologischen Diagnostik bleibt somit eine bedeutsame Aufgabe; jedoch sind angesichts der durch die jüngste Studie ausgelösten Besorgnisse einige Erläuterungen angebracht:

Die Studie aus Oxford besagt, dass in Deutschland jährlich etwa 2.000 Krebserkrankungen bei Menschen im Alter bis zu 75 Jahren durch die medizinische Strahlenexposition verursacht sein können. Die entsprechende Zahl der Krebstodesfälle könnte etwa 1.000 sein. Dazu müsste allerdings auch die Gegenrechnung aufgemacht werden. Wieviel der etwa 320.000 jährlichen Neuerkrankungen an Krebs in Deutschland werden geheilt, weil Röntgendiagnostik frühere Erkennung und bessere Behandlung ermöglicht? Dabei dient nur ein geringer Teil der Röntgenuntersuchungen der Krebsdiagnostik. Der Gesamtnutzen ist schwer zu beziffern, überwiegt aber bei weitem das Risiko.

Die neue Studie ist keine neue erschreckende Nachricht. Seit Jahren werden weit höhere Zahlen propagiert, denen zwar die wissenschaftliche Basis fehlte, aber keineswegs die öffentliche Resonanz, z.B.: "Deutschlands Ärzte sind Weltmeister im Röntgen. Sie belasten ihre Patienten mehr als doppelt so hoch und so häufig mit Röntgenstrahlen wie ihre Kollegen in England, Belgien oder den USA. Mehr als 20.000 Menschen sterben deshalb jedes Jahr in Deutschland zusätzlich an Krebs." (Schmitz-Feuerhake, Lengfelder: 100 Jahre Röntgen: Medizinische Strahlenbelastung – Bewertung des Risikos, 1997). Diese Zahl ließe sich auf ein Zehntel reduzieren, wenn die Ärzte wirklich nur dann röntgen würden, wenn es notwendig ist." (Ärztliche Praxis Nr.14, S.4, 18.2.97)

So gesehen, wäre nach der Oxford-Studie das oben als Idealziel genannten Zehntel bereits erreicht. Tatsächlich zeigt das Beispiel der mehr als 20 000 Röntgentoten allerdings nur, wie leichtfertig Risikoschätzungen mit Phantasiezahlen übertrieben und instrumentalisiert werden.  Übrigens ergab schon im vergangenen Jahr eine Bewertung durch GSF und das Institut für Strahlenhygiene des BfS nahezu dieselbe Schätzung wie nunmehr die Studie aus Oxford.

Die Tatsache, dass in Deutschland deutlich mehr Röntgenaufnahmen gemacht werden als in England, ist sicherlich kritisch zu sehen, ist aber zum Teil systembedingt. Im staatlich zentralisierten, weit weniger aufwendigen Gesundheitssystem Englands gibt es wenig teure Geräte, beispielsweise für Computer-Tomographie, die Patienten akzeptieren dort beträchtlich längere Wartezeiten und geben sich häufiger mit Diagnosen ohne moderne Verfahren zufrieden. Wegen des Mangels an CT-Geräten bezahlen die englischen Kassen neuerdings auch Untersuchungen im Ausland.

Noch problematischer ist der Vergleich der deutschen und europäischen Praxis der Röntgendiagnostik mit den Verhältnissen in den USA. Die über die Bevölkerung gemittelte Dosis durch Röntgendiagnostik liegt dort unter dem deutschen Wert. Der Grund allerdings ist, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung keine Krankenversicherung hat und deshalb wenig oder gar keine Röntgendiagnostik erhält. Andererseits werden für diejenigen, die es sich leisten können, kommerziell CT-Ganzkörperuntersuchungen ohne Indikation, d.h. als reine Screening-Maßnahme angeboten. In Deutschland und anderen europäischen Ländern wäre eine solche Praxis völlig illegal.

Die Zahlen zur Häufigkeit der Röntgenuntersuchungen und zur durchschnittlichen Dosis in den verschiedenen Ländern sind schwer zu vergleichen, da es kein einheitliches System zur statistischen Erfassung und zur dosimetrischen Abschätzung der medizinischen Strahlenexposition gibt. Beispielsweise sind in der Schweiz und in Deutschland Praxis und Technik der Röntgendiagnostik weitgehend gleich, dennoch werden für die Schweiz deutlich geringere Dosiswerte angegeben. Ein einheitliches internationales Erfassungssystem wird gegenwärtig vorbereitet.

Die Studie aus Oxford verwendet anerkannte Methoden zur Risikobestimmung, die allerdings sehr indirekter Natur sind. Da die Risiken der geringen Strahlendosen durch Röntgendiagnostik im statistischen Rauschen untergehen, d.h. viel zu gering sind, um unmittelbar beobachtet zu werden, müssen sie aus ganz anderen Beobachtungen erschlossen werden, nämlich aus den Erhöhungen der Krebsraten bei den hoch bestrahlten Atombombenüberlebenden. Trotz ihrer indirekten Natur sind die Schätzungen jedoch realistisch. Sie tragen auch der Tatsache Rechnung, dass ein großer Teil der Röntgenuntersuchungen an älteren Patienten durchgeführt wird, für die das Strahlenrisiko wegen der langen Latenzzeiten bis zum möglichen Auftreten strahlenbedingter Krebserkrankungen deutlich reduziert ist. Nicht berücksichtigt wurde allerdings der zusätzliche Faktor, dass die Lebenserwartung und somit auch das Strahlenrisiko bei ernsthaft erkrankten Patienten geringer ist als bei gesunden Personen gleichen Alters. Insofern sind die angegebenen 2.000 Krebsfälle eine gewisse Überschätzung.

Bei kleinen Dosen könnte Röntgenstrahlung etwas wirksamer sein, als es die zum Vergleich herangezogene energiereiche Gamma-Strahlung der Bomben war. Andererseits enthielt die Strahlung der Atombomben einen Anteil der biologisch besonders wirksamen schnellen Neutronen. Forscher der beiden Universitäten Münchens und der GSF haben wesentlich dazu beigetragen, dass im vergangenen Jahr in höchst komplizierten Messungen an Kupferproben aus Hiroshima die bisher unbekannte Neutronendosis retrospektiv bestimmt werden konnte. Demnach dürfte die Erhöhung der Krebsraten der Atombombenüberlebenden aus Hiroshima zu etwa einem Drittel durch die Neutronen bedingt sein. Für oberflächennahe Organe wie die Brust könnte sich bei Berücksichtigung der Neutronen die Risikoschätzung für die Gamma-Strahlung sogar auf etwa die Hälfte verringern. Da in Bezug auf das Mammografie-Screening das Brustkrebsrisiko besonders kritisch diskutiert wird, ist diese Verringerung der Risikoschätzung von besonderem Interesse.

WANC 03.04


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